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01 | Verkehrsströme besser steuern

DI Martin blum, Leiter der Abteilung für Verkehrspolitik, VCÖ über die Steuerung von Verkehrsströmen.

Durch die begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Budgets der Gebietskörperschaften gewinnt die effiziente Nutzung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur immer mehr an Bedeutung, so Martin Blum vom VCÖ.

DI Martin Blum, Leiter der Abteilung Vekehrspolitik im VCÖ ©VCÖin|traffic im Gespräch mit:
DI Martin Blum
Leiter der Abteilung Verkehrspolitik, VCÖ

Viele Kosten, die durch die Benützung der Verkehrsanlagen entstehen, werden derzeit nicht von den Verursachenden getragen. Als so genannte „externe Kosten“ werden sie auf die Allgemeinheit abgeschoben. Dabei geht es in Geld umgerechnet um verdammt viel: In Summe 17,6 Milliarden Euro, das entspricht sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes Österreichs oder 25 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen. Werden neben den externen Kosten auch andere marktverzerrende Effekte des Verkehrs – vor allem Begünstigungen des Pkw-Verkehrs, wie Pendlerpauschale oder Kilometergeld – berücksichtigt, so ergeben sich vom Verursacher nicht bezahlte Kosten des Verkehrs in Österreich in der Höhe von 29 Milliarden Euro pro Jahr, wie die VCÖ-Studie „Pricing – Verkehr nachhaltig steuern“ zeigt.

Bereits heute lenken ökonomische Anreize – Regulierungen, Subventionen und steuerliche Begünstigungen – den Verkehr, allerdings in Richtung Wachstum statt in Richtung Effizienz. Die Folgen: Straßen in Ballungsräumen sind regelmäßig überlastet. Der Speckgürtel um die großen Städte wächst. Es entsteht eine Siedlungsstruktur, die eine Rückkehr zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung buchstäblich „verbaut“. Dazu kommt, dass Österreich im Verhältnis zu seiner Größe und Bevölkerungszahl eines der längsten und teuersten Straßennetze innerhalb der EU hat.

DURCH PRICING-MASSNAHMEN VERKEHR VERRINGERN

Eine Analyse und Reform der verkehrsrelevanten Abgaben, Steuern und Gesetze ist Voraussetzung, um die Mobilität und den Transport effizienter und nachhaltiger zu machen. Maßnahmen, die mit völlig anderen Absichten eingeführt wurden, sind zu reformieren. Wie etwa das Pendlerpauschale, das heute auch als Anreiz wirkt, vom Arbeitsplatz weg ins Grüne zu ziehen. Als Steuerabschreibposten profitieren überproportional die Besserverdienenden davon.

Auch das amtliche Kilometergeld gehört reformiert. Als Entfernungspauschale sollen alle Verkehrsmittelarten gleichgestellt werden. Neue Ansätze sind nötig: In Kalifornien etwa zahlen Firmen, die Angestellten Gratisparkplätze bereitstellen, den nicht mit dem Auto zur Arbeit fahrenden Angestellten diesen Wert in Geld aus. „Parking Cash-out“ heißt das System im von Arnold Schwarzenegger regierten Bundesstaat.

Kontraproduktiv wirkt auch die auf die 1930er-Jahre zurückgehende Stellplatzverpflichtung, die dem Wohnbau verpflichtend die Schaffung von Garagen überwälzte. Viele europäische Städte haben diese gesetzliche Verpflichtung aufgehoben.

KOSTEN DORT ANLASTEN, WO SIE ENTSTEHEN

Mangelnde Kostentransparenz verstärkt die negativen Auswirkungen des Straßenverkehrs – im Ortsgebiet stärker als außerorts. Die Gesundheitsschäden oder Wertverluste von Immobilien, die pro Kfz-Kilometer verursacht werden, sind innerorts etwa zehnmal höher als außerorts. Das vermeintliche Verschenken knapper Verkehrsflächen lässt zusätzliche Verteilungskosten in Form längerer Wartezeiten vor Verkehrsampeln und im Stau oder durch lange Parkplatzsuche entstehen.

All diese Kosten zahlen nicht jene, die sie verursachen. Das setzt Anreize, mehr zu fahren beziehungsweise zu transportieren, und belastet die Gesellschaft.

DIE BESTEHENDE INFRASTRUKTUR BESSER NÜTZEN

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, bestehende Infrastruktur besser zu nützen, durch Verkehrssteuerung, durch Telematik und Mauten dort, wo sie notwendig sind. Mauten beeinfl ussen den Verkehr am besten, wenn sie an verkehrs- oder umweltpolitisch relevanten Größen anknüpfen, etwa der Anzahl der gefahrenen Kilometer, zu Stoßzeiten höher sind, oder Autos, die weniger Schadstoffe verursachen, weniger bezahlen. Mauten wirken am geringsten bei einem Fixpreis, wie das bei der Autobahnvignette für Pkw in Österreich der Fall ist. Über die Treibstoffpreise ist bezüglich Stauvermeidung kaum ein Lenkungseffekt zu erreichen, weil die für die Allgemeinheit viel teureren Fahrten in Ballungsräumen gleich betroffen wären wie Fahrten in ländlichen Gebieten. Die Erfahrungen aus London zeigen, dass eine Stadtmaut den Busverkehr beschleunigt und dessen Kapazität steigert.

Wer im Ballungsraum mit dem öffentlichen Verkehr statt mit dem Auto zur Arbeit fährt, erspart der Wirtschaft Nettokosten von insgesamt etwa 1.900 Euro pro Jahr und Person. Österreichweit erspart der Pendelverkehr mit Bus und Bahn der Wirtschaft allein an Staukosten 1,9 Milliarden Euro pro Jahr. Investitionen in den öffentlichen Verkehr erhöhen die Kapazitäten auf den Straßen.

MIT DEN EINNAHMEN DEN VERKEHR STEUERN

Was mit den Einnahmen aus dem Verkehr geschieht, entscheidet wesentlich die künftige Verkehrsentwicklung. Es macht einen Unterschied, ob die Mauteinnahmen zur Gänze in Straßenneubau und -erhaltung fl ießen. Oder ob, wie in der Schweiz, ein hoher Anteil der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die dort überdies am gesamten Straßennetz eingehoben wird, in den Ausbau des Schienennetzes fl ießt, mit dem erklärten Ziel einer Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene.

Die Pricing-Maßnahmen im Verkehr müssen immer im Gesamtgefüge des Steuersystems gesetzt werden. Wichtig ist, im Gegenzug andere Steuern zu senken, etwa die Lohnnebenkosten. In Deutschland fl ießt der Ertrag der Ökosteuer auf Treibstoffe in die Rentenversicherung, wodurch die Lohnnebenkosten entlastet werden. Bisher belastet unser Steuersystem vor allem den Faktor Arbeit. Ökologisch und ökonomisch vernünftiger sind höhere Energie- und Knappheitssteuern, wie Pkw- und Lkw-Maut. Heute gibt es ein unabsichtliches Engpassmanagement, nämlich durch Staus, durch die keine Lohnsteuer gesenkt werden kann.

VOM DERZEITIGEN SYSTEM PROFITIEREN DIE WOHLHABENDEN

Wenn wertvolle Verkehrsfl ächen gratis vergeben werden, kommt das jenen am meisten zugute, die am häufi gsten und am weitesten Auto fahren. Das sind vor allem die Wohlhabenderen. In den Großstädten besitzen die wohlhabenderen 50 Prozent der Haushalte bis zu 80 Prozent der privaten Pkw. Ein Blick in die Konsumerhebung erhellt diese Zusammenhänge: Ausgaben für „Verkehr“ – das sind zu 95 Prozent Ausgaben für Pkw-Kauf und Pkw-Betrieb – steigen überproportional mit dem Haushaltseinkommen. Jene zehn Prozent der Haushalte mit dem höchsten Einkommen geben alleine für das Autofahren pro Kopf mehr Geld aus, als jene zehn Prozent mit dem geringsten Einkommen insgesamt zum Leben haben. Die Gratisvergabe knapper Verkehrsfl ächen bewirkt eine soziale Umverteilung von etwa 1,2 Milliarden Euro von den unteren zu den oberen Einkommensgruppen. Wie sich Pricing im Verkehr sozial auswirkt, hängt davon ab, wie die Einnahmen verwendet werden – ob beispielsweise für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, wie die City-Maut-Einnahmen in London. Der Preis von Konsumgütern steigt durch eine Lkw-Maut nahezu unmerklich, denn der Anteil der Transportkosten am Preis der Güter ist gering (rund 1,5 Prozent bei Produkten des täglichen Bedarfs). Die Preiserhöhung durch eine Ausweitung der Lkw-Maut auf das gesamte Straßennetz würde etwa 0,14 Prozent betragen. Der Infrastrukturausbau ist heute kaum mehr geeignet, Verkehrsprobleme zu lösen. Eine moderne Verkehrspolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie lenkt und steuert.

DI Martin Blum ist Leiter der Abteilung Verkehrspolitik beim VCÖ.

Literaturtipp: Pricing – Verkehr nachhaltig steuern. Erschienen in der VCÖ-Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“ im Juni 2007. Erhältlich beim VCÖ (01) 893 26 97 oder www.vcoe.at