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03 | Nebenbaustelle Umwelt

AK-Experte Franz Greil über den Nutzen einer zentralen Baustellenlogistik.

Baustellen nerven. LKW donnern im Wohnzimmer, der Lärm raubt Anrainern den Schlaf und Staub auf dem Fenster ist vorprogrammiert. Alles Mögliche müsste also schon erfunden worden sein, um das Provisorium Großbaustelle so umwelt- und sozialverträglich wie möglich zu halten. Ein Lokalaugenschein in Wien-Simmering bringt Erstaunliches zu Tage. Dort entstehen derzeit geförderte Wohnungen auf der RUMBA-Baustelle Thürnlhof (Richtlinien für umweltfreundliche Baustellenabwicklung). Tatsächlich sind umweltfreundlich abgewickelte Großbauprojekte aber die Ausnahme. Das Einsparen von unnötigen LKW-Kilometern ist möglich, das gute Beispiel folgt aber nicht zwangsläufig auf anderen Baustellen.

BAUSCHUTTABFÄLLE – REIF FÜR DIE INSEL

Selbst Umweltbewegte assoziieren mit „umweltverträglichem Bauen“ bestenfalls „Passivhaus“. Verkehrsvermeidung am Bau dagegen ist noch immer ein recht abstraktes Konzept. Im Unterschied zur Speditionslogistik ist die Baustellenlogistik trotz großer Geschäftsumsätze eine unterentwickelte Disziplin. Die harten Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Die Bauwirtschaft verursacht mit 164 Millionen Tonnen rein gewichtsmäßig rund ein Drittel des Straßengüterverkehrs in Österreich. Laut Umweltbundes- amt ist die Bauwirtschaft sowohl bei den diffusen Feinstaubemissionen (z. B. Schüttgutumschlag) als auch Dieselabgasen (z. B. Baumaschinen) eine wesentliche Feinstaubquelle. Wenn aber an diesen Gegebenheiten gerüttelt werden soll, spielen schon Umwelt Nebenbaustelle AK-Experte Franz Greil über den Nutzen einer zentralen Baustellenlogistik. andere Gründe als Anraineranliegen oder Umweltverträglichkeit eine Rolle.

Franz Greil, AK-Experte ©echo/Schedlin|traffic im Gespräch mit:
Franz Greil
AK-Experte

In Berlin zwang in den 1990er Jahren der Bauboom in Folge der deutschen Vereinigung zu einem Umdenken: Allein das Schuttaufkommen auf der Baustelle Potsdamer Platz hätte einer vierspurigen LKW-Kolonne von Berlin bis Madrid bedurft. Nur der verpflichtende An- und Abtransport mit Bahn und Schiff verhinderte einen Kollaps. Der Bau von Infrastrukturprojekten (z. B. Erweiterung des Flughafens Hamburg) kann aufgrund von Sicherheitsauflagen und Vereinbarkeit mit einem 24-Stunden-Betrieb aus einer betriebswirtschaftlichen Logik heraus eine durchdachte Logistik erfordern. Bessere Transparenz und Qualitätssicherung für den Bauherrn gehen so Hand in Hand mit einem optimierten LKW-Einsatz.

RUMBA LIFE

In Wien war das Projekt RUMBA (Richtlinien für umweltfreundliche Baustellenabwicklung) im Rahmen des EU-Umweltförderprogramms LIFE der Katalysator für eine verkehrvermeidende Baustellenabwicklung. Im kooperativen Dialogverfahren mit der Bauwirtschaft arbeitete die Gemeinde Wien einen Leitfaden und Empfehlungen an Zielgruppen aus. Zentrale Zielsetzungen waren eine Reduktion der LKW-Fahrten, eine Erhöhung der Verwertungsquote von Bauabfällen durch getrennte Sammlung auf der Baustelle sowie weniger Luftschadstoff-, Lärm- und Lichtemissionen durch den Baustellenbetrieb.

Aus kleineren Vorläuferprojekten (z. B. Kabelwerk in Wien-Meidling oder Mischek-Wohnungen in Wien- Favoriten) flossen die Erfahrungen in das große Demonstrationsprojekt in Wien-Simmering ein. Dort entsteht am Thürnlhof mit 875 geförderten Mietwohnungen und sieben Eigentumswohnungen ein neuer Stadtteil in Kaiserebersdorf. Acht verschiedene Bauträger erhielten 2004 den Zuschlag für die Bebauung eines 42.500 m2 großen Areals. Nach Fertigstellung des ersten Bauabschnitts Thürnlhof Ost konnte 2007 bei einer vorläufigen Bilanz ein stolzes Ergebnis präsentiert werden. Im Vergleich zum 1994 in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Wohnbauprojekt Wien- Rodaun konnten dort 75 Prozent aller LKW-Fahrtenkilometer und 50 Prozent aller LKW-Luftschadstoffemissionen eingespart werden. Die neuen WohnungsbewohnerInnen müssen aber trotzdem keine spürbaren Mehrkosten für hehre umweltpolitische Ziele zahlen. Denn die direkten Kosten für die zentrale Baustellenlogistik betragen nur 0,25 Prozent der Bausumme! Nicht ganz ermittelbar sind die indirekt erzielten Kosteneinsparungen wie etwa weniger Leerfahrten und Standzeiten bei LKW. Wie kommen solche erstaunlichen Ergebnisse zustande?

BAUSTELLENLOGISTIK

Dreh- und Angelpunkt für die Verkehrsvermeidung ist eine zentrale Baustellenlogistik, durch die eine zentrale Baustellenzufahrt mit Einfahrtskontrolle und Zeitfenstermanagement sowie einer Dokumentation aller Transportvorgänge für den Bauträger durchgeführt wird. Diese Vorrichtung überwacht alle Baustellenverkehre, insbesondere aber den transportintensiven Aushub und die Anlieferung von Fertigteilen und Rohbaumaterialien. Die Vorgabe von „Zeitnischen“ für die LKW-Zufahrt verhindert Staus rund um das Baufeld im öffentlichen Straßenraum, aber auch Stehzeiten für den Frachtführer. Bei der Baustelleneinfahrt können aber auch manchmal dem auf der Baustelle unkundigen LKW-Fahrer Routen vorgegeben werden.

Baustelle Umwelt ©Raum und Kommunikation

Die zentrale Logistikstelle auf der Großbaustelle in Wien-Simmering implementiert aber auch eine Entgeltpflicht für LKW-Fahrten über 15 Kilometer bei Aushub- und zehn Kilometer bei Rohbauarbeiten, die an den Bauträger zu entrichten sind. Weil der Bauherr nicht nur LKW-Fahrten, sondern auch LKWAuspuffemissionen verringern wollte, verhängte der Bauträger einen hohen Mautzuschlag für alte LKWStinker (Erstzulassung vor 2000, schlechter als Euro 3). Dadurch wurde das regionale Güterbeförderungsgewerbe „ermuntert“, verstärkt in neue schadstoffarme LKW zu investieren. Das von der Fahrleistung abhängige Pönale muss aber nicht zwangsläufig zu einer Verlagerung auf die Schiene führen. „Konsequenz in Thürnlhof war“, plaudert Franz Fahrngruber von der beauftragten Firma Rhenus Logistics aus der Schule, „dass das Aushubmaterial vom Frachtführer eben nicht zur eigenen Deponie gegen Deponierungsgebühr verfrachtet, sondern tunlichst auf der Baustelle selbst zwischengelagert oder auf einer benachbarten Baustelle verwertet wurde.“ Aber im konkreten Fall „sparten“ nicht nur die Verkehrsakteure LKW-Kilometer ein, sondern auch Architekten trugen zur Verkehrsvermeidung bei. Laut DI Thomas Romm, Projektleiter von raum & kommunikation, wurde durch Anhebung der Kellergeschoße mit gleichzeitiger Lichtdurchflutung mit einem Schlag ein Vielfaches von herkömmlichen Aushubtransporten wegrationalisiert.

LERNEFFEKTE

Baustellen sind aber auch gigantische Verursacher von Abfall- und Staubaufkommen. Dem wurde auf der Musterbaustelle durch eine zentral gesteuerte Entsorgungslogistik anstelle der „individuellen Entsorgung“ der einzelnen Firmen aauf dem Baugelände entgegengesteuert. Im Vordergrund steht hier eine Sortierinsel, die den Anteil von Baumischabfällen niedrig hält und Sperr- und Holzmüll gesondert trennt. Größere Müllcontainer statt der üblichen 8 m3-Mulden konnten ebenfalls LKW-Fahrten vermeiden. Die zentrale Baulogistikstelle nahm sich aber auch der restlichen Baustelleninfrastruktur an, wobei die Staubvermeidung, vor allem durch asphaltierte Baustraßen, Kehren sowie das konsequente Abdecken und Bewässern von Staubträgern, im Vordergrund stand.

Durch RUMBA wurde in Wien ein neues Kapitel in der Umweltpolitik aufgeschlagen. Lerneffekte haben sich bei allen Beteiligten in der Verwaltung und in der Bauwirtschaft eingestellt. Durch spezielle Anreize in der kommunalen Wohnbauförderung wird die Verkehrsvermeidung fortgesetzt. Beispiele sind die Siedlungsanlage in der Dammhaufengasse in Wien- Leopoldstadt und am Orasteig in Wien-Floridsdorf, oder geförderte Neubauprojekte in der Erzherzog- Karl-Straße in Wien-Donaustadt.

VERSÄUMNISSE

Trotzdem drängt sich in Zeiten großer umweltpolitischer Herausforderungen wie Klimaschutz, Einhaltung von Immissionsgrenzwerten bei Feinstaub und Stickoxiden im städtischen Raum, die Frage auf, warum die öffentliche Hand nicht strengere Auflagen für weitere Großbauprojekte erlässt. Bei anderen Baustellen in Wien zeigt man sich selbst bei bahnnahen Unternehmungen resistent. Bei den Großbaustellen Westbahnhof und Bahnhof Wien-Mitte erfolgt beispielsweise der Transport trotz Gleisanlagen ausschließlich über den LKW und beim Hauptbahnhof Wien konnte bis dato die verantwortliche ÖBB Immobilien GmbH nur von einem „abgespeckten RUMBA-Maßnahmenkatalog“ überzeugt werden. Eine abgestimmte Baustellenlogistik mit dem zu bauenden Stadtteil „Gudrunviertel“ in unmittelbarer Nachbarschaft bleibt aber Utopie. In Baurechtsordnungen gibt es keine direkte Regelungsbefugnis zugunsten eines umweltfreundlichen Baustellenverkehrs. Nur über den Umweg anderer Rechtsmaterien gibt es „zarte“ Anknüpfungspunkte.

Die Liste reicht vom Kraftfahrgesetz (z. B. Säuberung der LKW beim Verlassen der Baustellen) über die Straßenverkehrsverordnung (z. B. Entlastung der Wohnbevölkerung durch Routenbindung oder Einschränkungen des Schwerverkehrs) bis zur Gewerbeordnung (z. B. Auflagen bei gewerblichen Arbeiten außerhalb der Betriebsanlage bei Gefährdungen von Menschen oder unzumutbaren Belästigungen der Nachbarn).

„Durch die derzeitige Rechtszersplitterung und den allgemeinen Deregulierungstrend sind Verbesserungen aber für die Umwelt nicht wahrscheinlich“, konstatiert Robert Lechner vom österreichischen Ökologie-Institut. Einen möglichen Ausweg sieht er in einem überarbeiteten Bauarbeitenkoordinationsgesetz auf Bundesebene, das um die Befugnis „umweltschonende Baustellenabwicklung“ erweitert werden sollte. Letztendlich wird weiterhin viel von der „diskretionären Macht“ eines Landeshauptmanns oder von Behörden im Zuge von Genehmigungsverfahren abhängen. Notgedrungen! Selbst wenn bei einem Großbauprojekt mit mehr als 50.000 Tonnen Massegut das zu bebauende Grundstück eine Gleisanlage aufweist, kann etwa aufgrund der Wiener Bauordnung die Behörde nicht einmal einen Abtransport mit der Bahn vorschreiben!

Eine Übertragbarkeit auf alle Baustellen ist nicht gegeben, weil „Baustelle“ auch immer als solche einen Projektcharakter hat. Baulogistikmanagement macht auch nur bei wirklich großen Baustellen Sinn und hängt von Standortfaktoren wie Vorhandensein eines Schienenweges oder multimodalen Güterterminals ab. Nachfolgend eine Auflistung der wichtigsten Handlungsempfehlungen:

  • Errichtung eines zentralen und den Bauplatz übergreifenden Baulogistikmanagements über die gesamte Bauzeit
  • Erfassung und Kontrolle aller LKW-Fahrten samt ihrer Ladungen, Fahrtweiten und -routen von und zur Baustelle
  • „LKW-Maut“ für alle Fahrten bei Aushub und Rohbau mit Aufschlägen für besonders alte LKWStinker
  • Abfall-Sortierinsel zur Trennung der Baurestmassen schon auf der Baustelle
  • Wiederverwendung des Bodenaushubs im Nahbereich der Baustelle
  • Reduktion der Bodenaushubmenge durch Anhebung des Tiefgaragengeschoßes. Die Erdgeschoßzone wird zugleich durch natürliches Licht architektonisch interessanter.
  • Ökobilanz entscheidet über den Einsatz von LKW, Schiene oder Binnenschifffahrt *) Staubminderung durch Befestigung und Reinigung von Baustraßen und Abdecken und Bewässern von „Staubträgern“ wie etwa Grubenböschungen oder Schüttgut
  • intensive kommunikative Vernetzung aller am Bau und in der Nachbarschaft handelnden Akteure, vor allem: Verwaltung, Bauträger, Baufirmen, Architekten. Dies ermöglicht auch gemeinsame Planung und Synergieeffekte mit angrenzenden, aber getrennten Bauprojekten
  • Partikelfilterpflicht für alle LKW- und Off-Road- Fahrzeuge (z. B. Baumaschinen) auf Baustellen. Aufgrund der Schweizer Bauverordnung erfolgt dies primär aus Arbeitnehmerschutzgründen und nur sekundär aus Umweltschutzüberlegungen.
  • Mobilitätsmanagement für die An- und Abreise von Beschäftigten am Bau.