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in|traffic - Ausgewählte Artikel

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01 | Weniger denken ist intelligent

Dr. Claus Faber, Leiter der Abteilung Wirtschaft in der Gerwerkschaft VIDA über die Mobility-Card

Der Tag beginnt früh. Heute habe ich vier Kundenbesuche am Stück, und alle wohnen sie in der Pampa draußen. Zumindest weiß ich jetzt schon: Es geht sich alles aus. Der Bus vor meiner Haustüre geht immer 22 Minuten nach der Stunde. Guten Morgen, Herr Bauer, sagt der Chauffeur. Nicht, dass wir uns kennen, aber ich habe gerade meine blaue Karte an seinem Lesegerät vorbeigezogen, und er sieht den Namen am Display.

Ob es wieder nach St. Pölten geht heute, will er wissen. Da fahre ich nämlich am häufigsten hin, das sieht er auch. Nein, heute muss ich nach Wieselburg. Der Fahrer reicht mir das Ticket. „Gföhl-Wieselburg, zum Bestpreis“ steht drauf. Mehr muss ich gar nicht wissen. Auch nicht im Regionalzug, in den ich gleich darauf umsteige: Der Schaffner hält sein Lesegerät an meine blaue Karte und sagt: „Um 9:44 Uhr kommen wir an.“

Der zweite Kunde heute wohnt bei Groß Sierning, und dorthin gibt’s keinen Bus. Das Auto am Bahnhof reserviere ich per Telefon oder Internet, die Nummer meiner blauen Karte reicht. Karte an die Windschutzscheibe halten, einsteigen, der Schlüssel liegt im Handschuhfach. Aber ich muss mich noch vorbereiten: Im Café am Bahnhof. Natürlich zahle ich auch mit Karte.

Zugegeben, ich schaue nicht mehr auf die Abrechnungen, die jeden Monat ins Haus kommen, sie stimmen seit Jahren schon. Bei der Einführung der Mobicard im Jahr 2009 habe ich noch jede Buchungszeile verglichen: Einzelfahrschein Wien; noch einer; der dritte ist schon gratis, weil es gleich viel kostet wie ein Tagesticket.

Dr. Claus Faber, Leiter der Abteilung Wirtschaft in der VIDA ©echo/Schedlin|traffic im Gespräch mit:
Dr. Claus Faber
Leiter der Abteilung Wirtschaft in der Gewerkschaft VIDA

Am 14. des Monats hatte ich die Monatskarte voll und fuhr die restlichen zwei Wochen gratis. So kommt man automatisch zu seiner Jahreskarte: einfach einsteigen und fahren. Das heißt dann Bestpreissystem. Letztes Jahr habe ich für Wien auf Jahreskarte umgestellt, denn ich kriege sie sowieso voll, und so zahle ich konstante Monatsraten statt Einmalbeträge. Wie war die Welt doch mühsam zur Jahrtausendwende. Da brauchtest du noch Fahrplan, Kleingeld, drei Tickets und viel Glück, dass der Anschluss wartet. Heute geht das alles von selbst.

Der Kuchen zum Café im Zugrestaurant war im Angebot für Mobicard-Besitzer, das habe ich schon öfters erst auf der Rechnung bemerkt. Die Sitzplatzreservierung klappt auch schon seit Jahren: 2. Klasse, Fenster, mit Steckdose.

Seit ich kein Auto mehr habe, ist mein Leben einfacher geworden. Soll doch die große Welt nachdenken, womit ich fahre, wo ich sitze und was ich zahle. Die große Welt rechnet den billigsten Tarif aus, und der Tarif ist immer um ein Hauseck billiger als ein eigenes Auto. Sogar, wenn ich zweimal pro Woche mit dem Taxi heimfahre. Intelligent ist, wenn meine Intelligenz frei ist für das, was mir wichtig ist: Meine Kunden, meine Ruhe, und dass ich ohne Stress bei meinen Kindern zu Hause ankomme. Dort haben wir übrigens letztes Jahr buchstäblich ein Hauseck angebaut. Wir können es uns leisten. Wann habe ich zum letzten Mal selbst getankt? Öl gewechselt? Ich weiß es nicht mehr.

MOBICARD – INTELLIGENTES TICKETING FÜR INTELLIGENTE LEUTE

Haben Sie schon mal probiert, im Jahr 2007 von Bad Leonfelden nach Oberndorf zur Stille-Nacht-Kapelle zu kommen, und das auch noch ohne Auto? Viel Spaß. Zuerst brauchen Sie eine Fahrplanauskunft, die iIhnen sagt, dass Sie in Leonfelden nicht mit jedem Bus wegkommen. Und sie sagt Ihnen auch: Wenn Sie um 11:35 Uhr wegfahren, steigen Sie in Linz Hauptbahnhof um, aber um 12:05 Uhr auch in Linz-Gründberg in die Straßenbahn, und in Salzburg sowieso. Der Postbus will zum ersten Mal Kleingeld. Das nächste Kleingeld brauchen Sie in der Linzer Straßenbahn. Der nette Herr am Linzer Bahnhof nimmt auch Kreditkarte und wechselt Hunderter, und (wenigstens etwas) er verkauft eine Fahrkarte von Linz bis Oberndorf, obwohl von Salzburg bis Oberndorf die Salzburg AG fährt. Verlieren Sie nur nicht den Überblick über die Ermäßigungen: Am Postbus zahlen Sie voll, für die Straßenbahn haben Sie noch irgendwo eine Mehrfahrtenkarte eingesteckt (oder gilt Ihre Wochenkarte noch? Und wo steckt die wieder?), bei den ÖBB haben Sie eine Vorteilscard. Von den Kleinigkeiten unterwegs wollen wir gar nicht reden: die Zeitung am Bahnhof, das Weckerl vom Bord-Trolley oder das Mittagessen im Speisewagen, vom Taxi in Oberndorf ganz zu schweigen.

Mobility Card ©VIDA

Wer kann, sitzt schon längst im Auto und fährt von Tür zu Tür.

Dabei könnte das alles auch viel einfacher gehen, und zwar mit einer kleinen Plastikkarte und viel Intelligenz dahinter. Die kümmert sich um all das, was den mobilen Menschen nicht mehr interessieren muss: Wie viel bezahle ich? (Egal, so wenig wie möglich.) Wartet mein Anschluss? (Ja, denn die Reservierung scheint in der Zugleitstelle auf.) Wie komme ich die letzten 5 Kilometer hin? (Die nette Dame bei der Auskunft hat ein Auto gebucht, oder ein Taxi, oder ein Fahrrad.) Habe ich genug Kleingeld? (Egal, denn die Karte ist überall Zahlungsmittel.) Kriege ich einen Sitz in Fahrtrichtung? (Ja, denn der Computer weiß, was Sie mögen.) Und wenn Sie doch noch nebenbei ein Auto haben, zahlen Sie damit gleich auch beim Tanken und an der Mautstelle. Die Mobilitätskarte ist eine Karte für die gesamte Mobilität, nicht nur für Bus oder Bahn oder Auto oder Mittagessen.

TICKETS MIT BESTPREIS

Ein Zugbegleiter muss für seinen Job mehrere hundert verschiedene Fahrkartentypen unterscheiden. Jeder Kunde muss von dem Dschungel aus Verbundtickets, Haustarifen, Ermäßigungen und Sonderaktionen überfordert sein. Besonders schwierig hat’s, wer günstig unterwegs sein will. Fahre ich heute einmal, zweimal oder dreimal mit der Straßenbahn? Das muss ich vorher wissen. Zahlt sich heuer wieder eine Vorteilscard aus? Das muss ich ein Jahr im Vorhinein entscheiden. Einfach-Raus-Ticket? Nur in Regionalzügen.

„Bestpreissystem“ heißt, dass sich dieses Ratespiel erübrigt. Ich fahre einfach los und bekomme automatisch den besten Preis. Zur ersten Fahrt am Tag zahle ich den Vollpreis. Bei der zweiten Fahrt auch, aber bei der dritten Fahrkarte wäre eine Tageskarte billiger, also fällt nur noch die Differenz an. Die vierte Fahrt ist gratis. Vier Tageskarten kosten so viel wie eine Wochenkarte (also kosten die weiteren drei Tage nichts), drei Wochenkarten kosten wie eine Monatskarte (eine Woche gratis), und zehn Monatskarten kosten gleich wie eine Jahreskarte (also zwei Monate gratis). Dasselbe Spiel verbilligt das Bahnfahren: Die ersten Tickets sind Vollpreis, bis sich eine Vorteilscard auszahlt. Dann kosten alle weiteren Fahrkarten nur mehr die Hälfte, bis die ÖsterreichCard herinnen wäre. Dann kostet das weitere Bahnfahren nichts. Wer gleich eine Netzkarte will, lässt sie sich aufbuchen und erspart sich das Ticketlösen ganz.

ZAHLUNGSMITTEL

Es gibt viele Möglichkeiten, mit Plastik zu zahlen: Bankomatkarte, Quick oder Kreditkarte sind eingeführte Systeme. Billa bucht Kundendaten in den Maestro-Chip ein. Eine Mobicard mit Bankomat- und Kreditkartenfunktion ist technisch kein Problem mehr. Somit wäre die Plastikkarte gleichzeitig Fahrschein, Vorteilscard, Wien-Jahreskarte, Bankomat- und Bankkarte.

WENIGER DENKEN HEISST MEHR FAHREN

Eine Mobilitätskarte soll vor allem eines bewirken: Dass die Leute öffentlich statt privat fahren. Die Karte ist ein Mittel, um die Zugangsschwelle zu senken. Nicht die Vielfahrer (die benützen Netzkarten und generieren in der Regel zusätzlichen Verkehr), sondern die Wenigfahrer sind die Umsteiger. Wer Menschen auf den öffentlichen Verkehr bringen will, muss zwei Hürden überwinden: Erstens, dass das Auto 24 Stunden lang überall hinfahren kann. An 24 Stunden kommt man mit öffentlichem Verkehr nicht heran, aber 19 Stunden geht, und überall hin kommt man mit integriertem fl ächendeckenden Taktverkehr.

Zweitens, dass die Administration des Autofahrens so einfach ist: Die Versicherung wird vom Konto abgebucht, Reparieren und Pickerl reicht einmal im Jahr, Tanken geht nebenbei und hat relativ berechenbare Kosten, und im Übrigen reicht ein Autoschlüssel. Wer dasselbe Hirnschmalz in eine Reise mit Öffi s steckt, kommt nicht einmal bis zum Fahrschein. In Fachkreisen heißt dies „Transaktionskosten durch Informationsbeschaffung“, und es ist einer der größten Nachteile des öffentlichen Verkehrs. Diese Transaktionskosten könnten radikal niedriger sein: Eine blaue Karte, einmal angemeldet, mit einer Bankverbindung dahinter, und der Rest geht von alleine.

Für die Kunden bringt die Karte Service. Von A wie Abendessen bis Z wie Zugfahrkarte ist alles drin, plus Zusatzservices, wenn die Verkehrsbetreiber intelligent genug sind, mein Kundenprofi l auszuschöpfen: Zielgruppengerichtete Angebote, Zusatzzuckerl, Kundenbindungsprogramme und mehr. Ich muss nicht mehr denken, was ich alles brauche, um einzusteigen. Ich kann meine Informationsbeschaffung kurz und einfach halten. Ich bin überall derselbe Kunde, denn meine Mobilitätskarte gilt überall, wo ich mobil bin: im eigenen Auto, im Taxi, in Bus, Bahn und Bim.

Für die Unternehmen ist eine gemeinsame Karte das Gegenstück: Sie erfahren etwas über ihre Kunden, welche Services sie schätzen und wie sie besser betreut werden können. Dass die öffentliche Hand über solche Mobilitätskarten auch dringend notwendige Mobilitätsdaten zur Planung des öffentlichen Verkehrs bekommt, ist fast schon ein Nebeneffekt. Apropos Kundenbindung: Jeder Mensch ist Kunde im öffentlichen Verkehr bis etwa 18 Jahre, und zwar im Schülerverkehr. Dann ist schlagartig Schluss, und erst mit 30 muss man die verlorenen Schäfchen mühsam wieder gewinnen. Mit der Mobicard könnte das besser werden: Mit 6 bekommt man die eduCard, mit 19 die StudiCard, mit 30 die ClassicCard und mit 65 die SeniorCard. Es kann immer dieselbe Karte bleiben, mit unterschiedlichen Angeboten daran.

ACHTUNG: DATENSCHUTZ!

Das personenbezogene Erfassen von Mobilitätsdaten ist ein Datenschutzproblem, aber ohne Erfassen gibt es keinen Bestpreis. Man kann zwar auch anonyme Mobicards ausgeben (nur Zahlungsmittel, ohne Bestpreis) oder sogar Wertkarten (mit Wertspeicher zum Aufl aden und Abbuchen), aber wer den vollen Nutzen haben will, muss Daten abgeben. Dieses Problem muss gelöst werden, zum Beispiel über gesetzliche Aufl agen zur Datenlöschung und eine Datenschutzkommission zur Kontrolle.

HONGKONG, NIEDERLANDE, STEYR: ES GEHT

Technisch ist eine solche Mobilitätskarte kein Problem mehr. Es gibt mehrere Systeme, die dafür geeignet sind: RFID-Chips kleben schon auf Milchpackerln, Mikrowellenchips kleben schon auf jedem Lkw, der Bankomatchip steckt schon in jeder Geldbörse. Wichtig ist nur, dass überall ein passendes Lesegerät steht. Logistisch ist der Fall etwas komplizierter, denn das Bestpreissystem verursacht den Technikern noch Kopfzerbrechen: Dazu müssten die Verkehrsunternehmen die Mobilitätsdaten des Kunden speichern und bei jeder neuen Buchung durchrechnen, ob es nicht rückwirkend ein besseres Angebot gegeben hätte. Manchmal müssen diese Daten auch unternehmensübergreifend berechnet werden, zum Beispiel für günstigere Verbundtickets.

MOBICARD WIRKT UND RECHNET SICH

Allerdings haben sich schon mehrere Unternehmen diesen Programmieraufwand angetan: Seit 1997 gibt es in Hongkong 13 Millionen Menschen mit Octopus-Card. Damit fährt man U-Bahn und zahlt in vielen Geschäften. Ein Viertel des Umsatzes auf der Karte ist schon Non-Mobility-Umsatz. Seit kurzem gibt es auch Uhren und Mobiltelefone mit Octopus- Chip. London hat ebenfalls Chipkartensysteme. Der Stadtverkehr in Wels, Steyr und Klagenfurt hat bereits Chipkarten mit Bestpreisfunktion. 43 Prozent der Welser fahren seitdem öfter mit dem Bus als zuvor, die Fahrgastzahlen haben um sieben Prozent zugelegt. Als erstes Land werden die Niederlande landesweit umstellen: Ab 2009 fährt man mit „OVChipkaart“ in allem, was fahren kann.

Der Nutzen ist größer als die Kosten: Nach einer niederländischen Studie bringt die „OV-Chipkaart“ bis 2017 mindestens 420 Millionen Euro. Der VCÖ hat die Studie auf Österreich umgelegt und kommt über 14 Jahre auf Kosten von 1,25 Milliarden Euro, bei Einsparungen von einer Milliarde Euro und Effi zienz-, Zeit- und Komfortgewinnen. In Summe beträgt der Nettonutzen 750 Millionen Euro. Intelligenz spart also auch noch Geld.